PETER BRAUNHOLZ
ARTIST & MUSICIAN

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Einführende Rede von Christoph Schütte, Kulturjournalist bei der F.A.Z., anlässlich der Eröffnung der Ausstellung von Peter Braunholz 2021 in der Burg Kronberg (Initiiert vom Kulturamt des Hochtaunuskreises, Bad Homburg)

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"Nein, Lieber Peter Braunholz, meine Damen und Herren,

Nein, ich möchte nicht sagen, dass diese Bilder hässlich sind.

Ich möchte nicht einmal sagen, dass das, was Peter Braunholz zeigt in seinen Bildern, hässlich sei.

Ich persönlich finde sie sogar sehr schön. Was hier nichts zur Sache tut. Und in der Kunst kommt es darauf am Ende sowieso nicht an.

Aber für uns Hobbyfotografen ist es nicht zu übersehen. Diese Bilder kann man im Grunde keinem zeigen. Sie sind nicht schön. Nicht im banalen, im trivialromantischen Sinn.

Nicht so, wie wir es vielleicht erwarten, wenn wir selbst ein Foto schießen.
Unser Ferienhaus, einen Sonnenuntergang, einen Strand mit Palmen, den Eiffelturm oder meinetwegen unseren Hund.

Ein Bild also, das nichts anderes sagen will als: Ich war da. Schaut her. Wie schön. Wir haben’s gut.
Das uns immer nur bestätigt in dem, was wir schon wissen, kennen, mögen.
Uns aber kaum je staunen macht.

Das ist eine Frage des Temperaments, zugegeben.

Für manchen macht gerade das die Fotografie aus. Dass man sich erinnert. Dass man sich seiner Identität vergewissert. Damit man sich in einer Welt aus Bildern nicht verliert.

Die Kunst von Peter Braunholz aber ist all das nicht. Nicht schön im herkömmlichen Sinne, nicht einmal pittoresk. Nicht anekdotisch, nicht romantisierend, nicht beschönigend. Nichts von alledem.

Erzählerisch aber sind diese Bilder wohl. Dabei ist nie auch nur ein Mensch zu sehen.

Und doch steht er, wo nicht im Mittelpunkt, so doch im Grunde immer mit im Bild. Ich komme später darauf zurück.

Was aber ist hier die Kunst? An Bildern, die Hausecken, Eingänge, Straßenfluchten zeigen – und sonst nicht wirklich viel? Nun, wir werden sehen.

„Die Zeitungen“, heißt es in einem kleinen, vor 50 Jahren erschienenen Text des französischen Schriftstellers Georges Perec, „die Zeitungen schreiben über alles, außer über das Tagtägliche.“

Will sagen, sie berichten über das Außergewöhnliche. Den 100. Geburtstag, nicht den 46., nicht über die drei Richtigen, sondern über den Millionengewinn. Über Flutwellen, Vulkanausbrüche, einstürzende Wohntürme.

Nur, so Perec, hat das mit uns im Grunde nichts zu tun.

Was aber hat mit uns zu tun? Was geht uns wirklich etwas an?

„Wo“, so Georges Perec, „ist das, was wirklich geschieht, das Übrige, alles Übrige? Das, was jeden Tag geschieht und jeden Tag wiederkehrt?“

Das Banale, das Alltägliche, das Selbstverständliche, das Gewöhnliche, das Infra-Gewöhnliche, das Hintergrundgeräusch?

„Wie soll man sich seiner bewusst werden, wie soll man es befragen, wie es beschreiben?“

Nun, in vielen seiner Texte macht Perec genau das. Das befragen, „was sich so sehr von selbst zu verstehen scheint, dass wir seinen Ursprung vergessen haben.“ Und macht daraus große Literatur.

Genau das aber, das Banale, das Gewöhnliche, das Übliche ist auch Peter Braunholz‘ Thema. Und auch ihm geht es darum, etwas „von der Verwunderung wiederzufinden“, wie es bei Perec heißt, die wir angesichts der Welt der Dinge vielleicht einmal empfunden haben.

Dabei inszeniert er nicht einmal. Er sucht und schaut und findet, und er präpariert. Und es sagt viel über seinen Blick, dass er den Ausschnitt fast immer in jenem Augenblick bestimmt, in dem er auf den Auslöser drückt. Nicht in der Dunkelkammer, nicht am Bildschirm.

Er lässt nicht die Straße räumen, setzt kein Licht und retuschiert auch das störende Detail nicht weg. Im Gegenteil:

Oft macht das Detail – ein Blumentopf, ein Plastikblumenstrauß - das Bild am Ende aus.

Als führten hier die Dinge ein merkwürdiges Eigenleben. In einer Welt, die uns bekannt vorkommt, die wir aber so noch nie gesehen haben.

Dabei, noch einmal, ist, was Braunholz‘ Bilder zeigen, tatsächlich nicht das Spektakuläre, sondern das Übliche, nicht das Extraordinäre, sondern das Gewöhnliche.

Und das Wunder ist: Hier, im Bild, wird es Ereignis.

Nicht damit, was Peter Braunholz zeigt. Das ist wie gesagt nicht selten recht banal.

Sondern wie er es zeigt.

Dabei zeigen diese Bilder genau das, was die Kamera gesehen hat. Nicht mehr und nicht weniger.

Situationen, wie wir sie alle kennen. Die trostlosen „Ecken“, die leergefegten Dörfer der „Topophilia“-Folge, die ungleichen Zwillinge der Hauseingänge.

Mal aus eigener Anschauung, mal aus der Welt der Kunst.

Denn es mag ja stimmen, dass, wie es der Fotograf Timm Rautert formuliert, jede Fotografie zunächst einmal ein Dokument vorstellt insofern, als „Fotografien per se dokumentarisch“ sind.

Als sie „auf optisch-chemischem Wege von einer vorgefundenen Wirklichkeit erstellt“ sind.

Doch im Zeitalter der Bilder legt es als Dokument nicht nur Zeugnis von einem Sachverhalt oder Ereignis ab. Es verweist noch stets im gleichen Augenblick auf andere Bilder, die wir aus ähnlichen, vielleicht aber auch gänzlich anderen Zusammenhängen und insbesondere aus der Kunstgeschichte kennen.

Weniger was die bevorzugten Motive angeht. Der Blick aber, die Lakonie, die aus diesen Bildern spricht, der Ton, den sie anschlagen, der klingt vertraut.

Sehr eigen, aber doch vertraut. Heinrich Riebesehl gehört nicht ohne Grund zu seinen Vorbildern, Wilhelm Schürmann oder auch die frühen Straßenfluchten Thomas Struths.

Doch auch Werner Mantz ließe sich nennen, der in den zwanziger Jahren der Fotograf des Neuen Bauens schlechthin gewesen ist. Und vielleicht als erster einen Hauseingang als Motiv in seinen Bildern wählte.

Denn tatsächlich ist Architektur und ist das Neue Bauen, ist namentlich das Neue Frankfurt auch in Peter Braunholz‘ – hier skulptural gewendeter –„Individualization“-Folge das eigentliche Thema.

Und der hier sichtlich bemühte, dort vor allem kleinbürgerlich anmutende Versuch, die Ästhetik der Moderne, das Serielle, die Norm als solche zu dementieren.

Was also ist geblieben vom Versprechen der Moderne?

Hm, keine Ahnung.

Ästhetisch aber ist das Ergebnis ein Desaster. Und, seien wir ehrlich, als ins Bild gesetztes Scheitern immer wieder ziemlich komisch.

Dagegen sind andere Arbeiten wie die „Ecken“ oder die Aufnahmen von „Parallel Nature“ nachgerade malerisch.

Auch hier gibt es Verweise auf die Fotografie, auf manche Arbeiten Axel Hüttes etwa.

Als im Grunde lapidare, das Spektakuläre im Banalen suchende Naturstücke aber sind sie der Malerei und – schließlich sind wir hier in Kronberg – insbesondere der Schule von Barbizon, dem Blick von Peter Burnitz etwa, ungleich näher.

Und die Ecken sind, je länger man sie sich betrachtet, ohnehin weitgehend abstrakt. Sind nichts als Linien und ein Zusammenspiel von Strukturen, Grauwerten und geometrisch definierten Flächen.

Wo aber bleibt hier die Relevanz? Und wo der Mensch?

Statt einer Antwort möchte ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen.

Vielleicht erinnert sich der eine oder andere hier an den Film „Smoke“ von Wayne Wang. Da spielt Harvey Keitel den Besitzer eines Tabakladens, der jeden Morgen, bevor er seinen Laden aufschließt, die Kreuzung fotografiert. Jeden Tag. Jahre und Jahrzehntelang. Einfach so.

In der Kunst würde man sagen, das ist ein Konzept. Spröde, zu nichts gut und ganz und gar gewöhnlich. Aber konsequent.

Tatsächlich ist er dem Wesen der Dinge auf der Spur. Und, natürlich, der Zeit.

Eines Tages dann zeigt Auggie seine Sammlung einem Kunden. Eine Art Tagebuch vielleicht, das sich die Welt, wie er sie kennt, zu eigen macht. Jeden Tag. Der Frühling kommt, der Sommer geht, Geschäfte machen auf und schließen wieder, ein Haus wird abgerissen oder umgebaut, bis Paul, der Kunde, auf einem dieser Bilder seine verstorbene Frau erblickt. Und in Tränen ausbricht.

Was das mit dieser Ausstellung zu tun hat?

Nun, Sie haben Recht. Peter Braunholz ist nicht Auggie Wren. Und tatsächlich möchte man beinahe meinen, hier sei es gerade umgekehrt.

Die Welt, die Dinge, die Natur, all das scheint mit sich selbst identisch. Und wenigstens die Bilder werden bleiben. Nur wir, wir werden alt."

 
http://peterbraunholz.de/files/gimgs/th-214_IMG_1191.jpg
BURG KRONBERG 2021

Rheinberger Saal